Wie ist die aktuelle Lage der medizinischen Fachberufe?

Frau König, die These ist klar, der Arbeitsmarkt des medizinischen Personals ist angespannt, die Belastung hoch – wie schätzen Sie die Lage ein?

Es gibt tatsächlich einen Fachkräftemangel in allen Gesundheitsberufen. Das beginnt bei den Ärztinnen und Ärzten, setzt sich über die Pflegekräfte fort, weiter über die medizinischen Technologen, Physiotherapeuten, Hebammen und endet schließlich bei den Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten, bei denen der Fachkräftemangel auch angekommen ist.

Für Praxen ist es zunehmend schwieriger, freie Stellen zu besetzen – das liegt unter anderem auch an den vielen Abbrechern in den Ausbildungsberufen, die die Ausbildung gar nicht bis zum Ende durchlaufen.


Was haben Sie in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen herausgehört: Bei welchem Thema sagen viele „da muss was passieren“?

Definitiv beim Thema ‚Wertschätzung durch die Politik‘. Das Thema ist seit eineinhalb Jahren immer mehr in den Fokus gerückt. Beim Corona-Sonderbonus wurden Medizinische Fachangestellte (MFA) jetzt zum dritten Mal im Vergleich zu den Pflegekräften von der Politik vergessen, wurden also vom staatlichen Sonderbonus ausgenommen. Die MFA sind damit ein blinder Fleck: „Wir werden nicht gesehen, für uns wurde nicht geklatscht“ – so sehen das die MFA. Es gab kein klares Bekenntnis zu den Leistungen der MFA in der Pandemie.

Die Uni Witten Herdecke hat die Belastung in einer Studie (https://www.desam-fornet.de/wp-content/uploads/2022/02/D4N_Preis20220311_FLASHMOB_AbstractLS.pdf) ganz gut ermittelt. 90% aller telefonischen Fragen, die eingingen, wurden in der Pandemie von den MFA beantwortet. Und das zeigt einfach, welche breite Palette sie bedienen und was MFA jetzt in den zwei Jahren Pandemie alles geleistet haben, ohne dafür einen Bonus vom Staat zu bekommen und ohne, dass es gesehen wird.


Wie ist die Stimmung in den Praxen? Fühlen sich die MFA unterstützt in ihrem Berufsalltag?

Wir haben Anfang Februar eine Online-Umfrage durchgeführt, an der ungefähr 4.000 MFA teilgenommen haben. Nur 42% gaben an, dass sie mit ihrem Gehalt zufrieden sind – mehr als die Hälfte waren eher unzufrieden, bzw. sehr unzufrieden mit der Wertschätzung durch ihren eigenen Arbeitgeber.

Wer die Leistungen seiner MFA sieht, hat in der Regel bereits in 2020 und auch 2021 einen Bonus gezahlt. Und diese Arbeitgeber werden sich vermutlich auch jetzt an dem freiwilligen steuerfreien Corona-Bonus von bis zu 4.500 € beteiligen. Aber das sind weniger als die Hälfte der Praxisinhaber. Dies führt natürlich beim größten Teil der MFA dann zu der großen Unzufriedenheit. In der Umfrage gaben 46 % aller MFA an, mehrfach im Monat und häufiger über einen Ausstieg aus dem Beruf nachzudenken. Die Uni Düsseldorf hat dazu 2017 eine Umfrage gemacht. Da lag der Wert noch bei 22%. Das war auch schon hoch, aber da sieht man jetzt deutlich den Unterschied.

Die Bereitschaft zu Mehrarbeit sinkt, das höre ich in persönlichen Gesprächen. Sie geht häufig gegen Null, denn nach 2 Jahren Pandemie sind die physischen und psychischen Ressourcen aufgezerrt. Hier geht es den MFA wie vielen Ärztinnen und Ärzte, sowie vielen Pflegekräften. Und das führt natürlich dann auch zu wachsenden Versorgungsproblemen. Inzwischen müssen Praxisinhaber Sprechzeiten reduzieren oder schließen, weil sie kein Personal mehr haben. Diese Auswirkungen betreffen die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten im GKV-Bereich als auch Patienten im privatärztlichen Bereich. Vor allem, weil es nur wenige rein privatärztliche Praxen gibt.

 

Wie Ärzte ihr medizinisches Fachpersonal entlasten können

Wie kann ich als Arzt die Zufriedenheit meiner Mitarbeiter steigern und welche Maßnahmen sind dafür nötig?

Ein Punkt ist natürlich das Gehalt. Übertarifliche Bezahlung sollte sich weiter durchsetzen – eben auch eine Eingruppierung entsprechend der Kompetenzen und dem Verantwortungsgrad. Es sollte nicht stur in die Tätigkeitsgruppe I eingruppiert werden. Der Tarifvertrag lässt es zu, wenn eine MFA bereits nach der Ausbildung höhere Verantwortung übernimmt, sie auch in die Tätigkeitsgruppe II oder III einzugruppieren.

Aber das Gehalt ist nicht alles. Eine große Rolle spielen mittlerweile auch flexible Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Familie, Hobbys und Beruf zu schaffen. Hinzu kommt ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement, gerade jetzt unter der Stressbelastung gemeinsam im Team etwas zu machen, stärkt das Team. Aber auch Gutscheine als Sachbezüge im rechtlichen und steuerlichen Rahmen können die Motivation erhöhen. Die MFA über einen tariflichen Arbeitgeberbeitrag und entsprechenden Zuschuss zur Entgeltumwandlung in der betrieblichen Altersvorsorge abzusichern, erhöht die Mitarbeiterbindung und verhindert Altersarmut.


Wie sieht es bei der Wertschätzung aus? Was kann ich dort konkret tun?

Es geht insbesondere um eine echte Wertschätzung, ein Lob. Wie gehe ich mit meinen MFA um? Übertrage ich Ihnen Aufgaben? MFA wollen sich weiterentwickeln, hier können Personalentwicklungsgespräche in Richtung Qualifizierung diesen Prozess aktiv begleiten. Der bunte Strauß der Möglichkeiten, den Arbeitgeber zur Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit nutzen können, sollte von den Arztpraxen genutzt werden. Zusätzlich gibt es Instrumente wie jährliche Zielvereinbarungen, an die Sonderboni geknüpft sind. Auch das erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit.

Wichtig ist auch, die Mitarbeiter in Weiterentwicklungsprozessen und bei Umstrukturierungen einzubinden: Wie gehen wir mit Engpässen um? Solche Punkte können in regelmäßigen Teammeetings besprochen werden. Außerdem sollten Praxisinhaber die eigenen Mitarbeiter bei der Suche von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit auswählen lassen. Die Freigabe muss natürlich am Ende der Personalverantwortliche geben, die Mitarbeiter wissen jedoch sehr gut, worauf es ankommt und müssen mit der, bzw. den Neuen täglich zusammenarbeiten.

Zur Zufriedenheit kann auch - wie eingangs erwähnt - beitragen, meinen MFA konkrete Aufgaben wie beispielsweise die Digitalisierung zu übertragen. MFA kümmern sich gerne selbstständig um die Prozesse in der Arztpraxis. Es ist kontraproduktiv, wenn die Fachkräfte, die täglich mit den Prozessen arbeiten, z. B. bei der Entbürokratisierung, nicht eingebunden werden. Die Medizinischen Fachangestellten wollen bereits bei der Planung und der Entwicklung von neuen Anwendungen und Entwicklungen mitgenommen werden und wollen diese Prozesse mitgestalten.

 

Warum die Politik handeln muss

Als niedergelassener Arzt bin ich nur bedingt konkurrenzfähig gegenüber Kliniken und MVZs. Gibt es da Nachholbedarf auf Seiten der Politik?

Im Moment erleben wir einen, das muss man schon so sagen, unschönen Abwerbeeffekt. Kliniken werben aktuell massiv die MFA ab, um Lücken in den Kliniken zu schließen. In den Ambulanzen und der Funktionsdiagnostik kennen wir das – mittlerweile betrifft das allerdings auch die Stationsassistenz und Aufgaben bei den Hebammen. Für Reinigungsarbeiten und Terminvergaben zur Entlastung von Hebammen sind MFA definitiv überqualifiziert – da gibt es andere Berufssparten, die diese Aufgaben übernehmen können.

Eine weitere große Gefahr, die sich entwickelt, kommt aus Pflegeeinrichtungen, also der ambulanten Pflege, dem Reha-Bereich und dem öffentlichen Gesundheitswesen. Aufgrund der Gehaltsentwicklung werden medizinische Fachkräfte und zum Teil sogar Hilfskräfte dort besser verdienen als es überhaupt von Arztpraxen finanzierbar ist. Hier muss der Gesetzgeber eine Form der Gegenfinanzierung für die niedergelassenen Arztpraxen schaffen.


Wie könnte man eine Gegenfinanzierung schaffen?

Während Gebührenordnungen für Rechtsanwälte und Tierärzte angepasst wurden, werden Ärzte und Zahnärzte bei der Novellierung ihrer Gebührenordnungen von der Bundesregierung hingehalten. Die vollständige und automatische Berücksichtigung von Tarifsteigerungen des Personals auch bei den MFA – analog den Pflegekräften in den Kliniken – könnte die Wettbewerbsverzerrung ausgleichen.

Eine Novellierung der GOÄ ist dringend nötig, um konkurrenzfähige Gehälter zu zahlen beziehungsweise die Kosten für diese decken zu können. Im GKV-Bereich erfolgt dies durch den Gesetzgeber ohnehin nachgelagert. Der Gesetzgeber finanziert mit zwei Jahren Verzögerung die gesteigerten Kosten gegen; allerdings nicht vollumfänglich, sondern nur anteilig. Im privatärztlichen Bereich fehlen diese Mechanismen komplett. Die Politik muss also dringend nachsteuern.

Frau König, haben Sie vielen Dank für das aufschlussreiche Interview!

 

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