Herr Dr. Schäfer, Union und SPD loten derzeit in Berlin Möglichkeiten einer Zusammenarbeit aus – und auch ihre Schnittmengen in der Gesundheitspolitik. Mit dem Konzept der „Bürgerversicherung“ können sich CDU und CSU nach wie vor nicht anfreunden. Jedoch scheint die Idee einer einheitlichen Gebührenordnung (EGO) inzwischen auch Freunde in der Union zu finden. Käme eine solche „EGO“ in unserem Gesundheitssystem – was wären Ihrer Meinung nach die Folgen?

Die Idee der „Bürgerversicherung“ kommt unter verschiedenen Chiffren und Deckmäntelchen daher. Eine davon ist die sogenannte „einheitliche Gebührenordnung“ (EGO). Wenn medizinische Leistungen in GKV und PKV auf Grundlage ein und derselben Gebührenordnung abgerechnet
werden sollen, geht das im Interesse der GKV nur dann, wenn auch der gesamte Regulierungsapparat, wie wir ihn heute aus dem EBM kennen, auf die PKV übertragen wird. Dann muss das Leistungsspektrum absolut deckungsgleich sein und es muss vor allem auch völlig systemwidrig ein Budget in der PKV gelten. Somit hat man nichts anderes als eine Bürgerversicherung, ohne das offen aussprechen zu müssen.

Im Rahmen der Debatten über eine Bürgerversicherung wird auch vielerorts wieder darüber diskutiert, wie wichtig die Einnahmen aus der Behandlung von Privatpatienten oder Selbstzahlern für die Arztpraxen des Landes wirklich sind. Zu welchem Schluss kommen Sie bei dieser Frage – und können Sie Ihre Auffassung mit Zahlen untermauern?

Wir haben uns genau mit dieser Frage in wissenschaftlichen Studien auseinandergesetzt. Das Ergebnis ist klar und deutlich: Die Bürgerversicherung ist eine unmittelbare existentielle Bedrohung für die niedergelassenen Ärzte. Bundesweit beträgt der Privatversicherungsanteil rund 11 %. Diese 11 % der Patienten lösen aber 24 % der Umsätze in den Praxen aus. Bei Hausärzten liegt der Privatanteil bei etwa 18 %, bei HNO-Ärzten bei 33 % und bei Urologen bei mehr als 41 %. In Euro ausgedrückt bedeutet das: In einer Bürgerversicherung gingen
Hausärzten 50.000, HNO-Ärzten 102.000 und Urologen 147.000 Euro an Mehrumsatz jedes Jahr verloren. Investitionen in gutes Personal und moderne Technik sind dann nicht mehr möglich. Eine Vielzahl von Praxen wird schließen, die Bereitschaft, sich niederzulassen, wird massiv schwinden, nicht zuletzt auch, weil keine Bank der Welt deren Finanzierung auf Kreditbasis mehr verantworten würde. Die Bürgerversicherung legt also unmittelbar Axt an die Versorgung durch niedergelassene Ärzte.

Die SPD spricht sich nach wie vor dafür aus, dass die Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung überführt werden – oder zumindest eine größere Wahlfreiheit bei der Versicherungsart erhalten. Ist das nicht ein nachvollziehbarer Ansatz?

Denkt man an Beamte in den niedrigeren Besoldungsstufen mit mehreren Kindern, mag das plausibel klingen. Aber die Argumentation ist hier genauso verzerrt und oberflächlich wie bei Bürgerversicherung und „EGO“. Denn was nach Gerechtigkeit klingt, ist nichts anderes, als den Beamten zugesicherte Privilegien zu entziehen und sich aus der Verantwortung zu ziehen. Bund und Länder sind in der Pflicht, ihre Beamten angemessen zu versorgen. Die Situation einiger Beamter wird hier schamlos politisch ausgenutzt. Denn es geht den Befürwortern nicht um die Beamten, sondern um ihr Ziel: die Bürgerversicherung. Dieses Vorgehen ist nachvollziehbar, aber perfide!

Dass wir uns überhaupt über politische Schritte in Richtung Bürgerversicherung unterhalten müssen, liegt nach Ansicht von Frank Rudolph – dem Geschäftsführer des "Bundesverbands Verrechnungsstellen Gesundheit“ – an der FDP. Die Liberalen hätten sich aus der Verantwortung gestohlen und die Jamaika-Koalition platzen lassen, betonte er kürzlich in einer Presseverlautbarung. Die FDP habe die Ärzte im Stich gelassen. Teilen Sie diese Auffassung?

Dies ist eine Polemik, bei der die Pferde des eigenen parteipolitischen Engagements mit dem Herren durchgegangen sind. So etwas gehört sich einfach nicht. Aber auch in der Sache kann man durchaus anderer Meinung sein. Man muss sich doch nur die Zwischenberichte aus den Jamaika-Sondierungen anschauen. Demnach wurde auch dort um des Kompromisses willen nach wohlfeilen Umgehungstatbeständen zur Bürgerversicherung gesucht. Einer davon war, explizit das Thema „EGO“ auf die Agenda zu setzen. An dieser Stelle frohlockte jedoch nicht die FDP, sondern insbesondere manch Abgeordneter der Union. Aber es ist ja nicht zu spät zu erkennen, dass dies ein schwerwiegender Fehler wäre, der auch den letzten Arzt noch auf die Straße bringen würde.

Welche Handlungsempfehlungen geben Sie nun den Abgeordneten in Berlin. Welche Schritte sollte die nächste Regierung unternehmen – und welche tunlichst unterlassen?

Demokratische Parteien sollten in der Lage sein, Kompromisse zu finden. Nur darf dieser Kompromiss nicht zum Kotau werden. Wenn die Union erfreulicherweise die Bürgerversicherung glasklar ablehnt – und dies hat der CSU-Parteitag unmissverständlich zum Ausdruck gebracht – darf sie sich auch nicht auf die Taschenspielertricks einer „EGO“ einlassen. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung sollte vielmehr die gute konjunkturelle Lage dazu genutzt werden, das duale System fit zu machen – auch im Hinblick auf die nachfolgenden Generationen. Die Umlagefinanzierung muss zurückgefahren werden. Wir alle kennen die Altersentwicklung in unserem Land und wir wissen den medizinischen Fortschritt zu würdigen. Bürgerversicherung pur oder auch Umlagefinanzierung für alle und alles heißt nichts anderes als schon mittelfristig ein Minimalsystem mit mehr oder minder eingefrorenem Leistungsumfang zu etablieren.

Autor: js, © änd Ärztenachrichtendienst Verlags-AG
Quelle: https://www.aend.de/article/183526

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